
Streaming vs. lineares Fernsehen Wann verlor die Primetime an Bedeutung?
Advertorial Früher war klar, was um 20:15 Uhr passiert: Fernseher an, Chips raus, Ruhe im Wohnzimmer. Wer nicht spätestens um Punkt acht auf dem Sofa saß, musste mit verpassten Pointen oder halben Dialogen leben. Heute sieht das anders aus. Die Primetime, einst das Kronjuwel der Fernsehlandschaft, hat ihren Glanz verloren. Ihr Untergang erzählt viel über eine Gesellschaft, die sich von festen Strukturen verabschiedet hat, um Flexibilität zu umarmen.
Es ist eine Entwicklung, die nicht allein das Fernsehen betrifft, sie zieht sich durch viele Lebensbereiche: Vom Gang zur Videothek zur Netflix-Auswahl auf dem Smartphone, vom Einkaufsbummel durch die Innenstadt zum nächtlichen Scrollen durch Online-Shops und von der Spielothek mit Automaten zur Anmeldung im Online Casino. Alles wird bequemer, schneller und individueller.
Doch wie kam es dazu, dass ausgerechnet das Abendprogramm, einst der heilige Gral der TV-Welt, an Bedeutung verlor?
Als der Fernseher noch die Richtung vorgab
Die Primetime war einst das, was man heute wohl als Pflichttermin bezeichnen würde, allerdings freiwillig gewählt und mehrheitlich geliebt. Um 20:15 Uhr startete das, was die Fernsehnation bewegte. Ob Krimi, Quiz oder großes Samstagabend-Spektakel: Wer dabei sein wollte, musste sich fügen. Fernsehen war ein Event, kein Nebenbei-Medium. Der Tagesablauf richtete sich danach, nicht umgekehrt.
Der Grund für diese Disziplin: Es gab keine Ausweichmöglichkeit. Keine Mediathek, kein Streaming, keine Alternative außer dem Videorekorder, der allerdings eher Technikbegeisterten vorbehalten war. Wer Serien mochte, sah sie dann, wenn sie kamen, oder eben gar nicht.
Der Tatort wurde zur Tradition, Shows wie „Wetten, dass..?“ zum gemeinsamen Fernsehabend quer durch die Generationen. Einschaltquoten schossen durch die Decke, Werbeblöcke waren Gold wert. Die Primetime war die Bühne, auf der TV-Sender ihr bestes Personal schickten, die teuersten Produktionen platzierten und das Publikum mit Hochglanzformaten fesselten.
Das Netz wird schneller, das Leben flexibler und das Fernsehen gerät ins Wanken
Die erste Ritze im Fundament kam mit der Verfügbarkeit von DSL und WLAN. Plötzlich war das Internet nicht mehr nur ein Ort für Mails und Foren, sondern ein Raum für Bewegtbild. Smartphones und Tablets beschleunigten die Entwicklung. Fernsehen musste nicht mehr auf dem Sofa stattfinden, sondern konnte überall und jederzeit geschehen.
Parallel dazu änderte sich der Alltag. Starre Strukturen wichen flexibleren Lebensmodellen. Schichtdienste, Homeoffice, Patchworkkalender, der 20:15-Rhythmus passte immer weniger ins Leben. Warum also warten, wenn man auch klicken konnte?
Mediatheken wurden zum Trostpflaster der Sender: Wer nicht live dabei war, holte später nach. Und siehe da, das Publikum nahm’s dankend an. Die Kontrolle wanderte langsam vom Sender zur Zuschauerschaft. Die ersten Risse im Primetime-Gefüge waren da, aber noch konnte das klassische Fernsehen den Anschein wahren, am Steuer zu sitzen.
Der Algorithmus übernimmt: Streamingdienste geben den Ton an
Dann kam Netflix und mit ihm das Ende des linearen Diktats. Was früher zur festen Zeit lief, war jetzt auf Abruf verfügbar. Nicht nur eine Folge, sondern ganze Staffeln. Wer wollte, konnte ein ganzes Wochenende in einer Serie versinken. „Noch eine Folge?“ wurde zur rhetorischen Frage.
Streamingdienste ersetzten nicht einfach das Fernsehprogramm, sie stellten es infrage. Warum sich an eine Uhrzeit halten, wenn man selbst entscheiden kann, wann’s passt? Warum auf Werbung warten, wenn man auch einfach überspringen kann?
Hinzu kommt die personalisierte Auswahl: Algorithmen lernen mit, schlagen Inhalte vor, wissen, was gefällt, manchmal besser als man selbst. Die Zuschauer wurden von Empfängern zu Regisseuren ihres eigenen Abendprogramms. Die Primetime? Ein Konzept aus der Vergangenheit, das in der On-Demand-Welt keine Funktion mehr erfüllt.
Wenn niemand mehr gleichzeitig schaut und was verloren geht, wenn alle alles jederzeit sehen können
So bequem Streaming ist, so einsam macht es manchmal auch. Das kollektive Fernseherlebnis, das gemeinsame Lachen, Zitieren und Mitfiebern, all das ist seltener geworden. Serien laufen nicht mehr synchron durchs Land, sondern verstreut. Wer Folge 4 noch nicht gesehen hat, muss Gespräche meiden. Spoiler lauern überall.
Auch die Übersicht leidet. Früher reichte ein Blick in die Fernsehzeitung. Heute braucht es Zeit und Geduld, um aus der Flut an Optionen auszuwählen. Zu viel Auswahl kann lähmen. Der sogenannte „Decision Fatigue“ setzt ein: Wer zu viel scrollt, hat irgendwann auf gar nichts mehr Lust.
Und dann wäre da noch das Verschwinden der redaktionellen Kuratierung. Wo früher jemand entschied, welche Sendung auf welchem Sendeplatz landet, regieren heute Algorithmen. Sie bevorzugen das, was gut klickt, nicht unbedingt das, was gut tut. Inhalte werden optimiert, nicht entwickelt.
Mediathek: Wie sich das klassische Fernsehen gerade neu erfindet
Als Antwort auf das veränderte Sehverhalten und den Erfolg internationaler Streaming-Plattformen haben öffentlich-rechtliche Sender wie ORF, ARD, ZDF, ARTE und 3sat ihre Mediatheken stark ausgebaut. Diese digitalen Zusatzangebote ermöglichen es den Zusehern, verpasste Sendungen zeitunabhängig nachzuholen – oft sogar schon vor der TV-Ausstrahlung im Rahmen von "Online First"-Veröffentlichungen.
Besonders bei Dokumentationen, Talkformaten und Kulturinhalten bieten die Mediatheken ein hochwertiges Programm, das sich gegenüber Streaming-Giganten nicht verstecken muss und sogar hochwertigere Inhalte als die Konkurrenz zeigen. Darüber hinaus findet man exklusive Inhalte, die ausschließlich online verfügbar sind – sogenannte "Web only"-Produktionen –, die das Gesamtangebot zusätzlich aufwerten.
Und was bleibt? Vielleicht eine neue Art der Primetime, nur ohne Uhrzeit!
Die klassische Primetime hat verloren, das ist keine These, das ist Fakt. Aber das heißt nicht, dass alles schlechter ist. Nur anders. Fernsehen ist mobiler, individueller und dynamischer geworden. Inhalte sind zugänglicher denn je. Wer heute etwas sehen will, tut das sofort, oder nie. Die Grenzen zwischen „wann“ und „wo“ verschwimmen.
Doch genau darin liegt auch die Chance. Vielleicht muss die Primetime nicht verschwinden, sondern sich neu definieren. Nicht mehr als feste Uhrzeit, sondern als persönliche Tageszeit. Als Moment, in dem eine Plattform erkennt: Jetzt wäre die perfekte Zeit für diese Doku, diesen Film, diese Show. Die Technik wäre da.
Und vielleicht kehrt auch das Gemeinschaftsgefühl zurück, über soziale Medien, Watch-Partys oder neue Event-Formate, die wieder einen fixen Zeitpunkt brauchen. Denn eines hat sich trotz aller Entwicklungen nicht geändert: Gute Inhalte wollen gesehen werden. Und manchmal eben auch gemeinsam. Nur eben nicht unbedingt um 20:15 Uhr.
Foto: Jonas Leupe / Unsplash
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